Dienstag, 6. Juli 1790

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Arminio

Das Café am Marktplatz war am frühen Morgen kaum besucht. Weiß gekalkte Wände bildeten einen intensiven Kontrast zu den Fachwerkbalken aus Eichenholz, die das Haus stützten. Magister Arminio starrte auf die Dellen und Brandflecken auf dem Tisch, die ihre eigenen Geschichten erzählten. Statt seiner roten Robe mit den Insignien der Feuermagie trug er graue, abgetragene Arbeiterkleidung. Er hatte sich auf eine Eckbank gesetzt und gähnte.

Hell klingelte die Glocke über der Eingangstür und ein neuer Gast trat ein. Der Luftzug wehte den Geruch von schalem Kaffee zu ihm und Arminio rümpfte die Nase. Das Gebräu in seiner Tasse war so dünn, dass er den Boden sah. Als der Gastwirt an ihm vorbeieilte, zog er instinktiv die Kappe tiefer, da seine Iriden rot waren, solange er wirkte.

Sein Talent, Temperaturen zu unterscheiden, war sensibler als bei den anderen Feuermagiern. Das warme Herz und die Blutbahnen jeder Person nahm er detailliert wahr und merkte sich dieses einmalige Abbild wie einen Fingerabdruck. Solche Wärmequellen konnte er wiedererkennen und durch die ganze Stadt verfolgen. Weil ihm dies unbändige Freude bereitete, war er seinem Herzenswunsch gefolgt und suchte für die Polizei regelmäßig Vermisste.

In dem Haus, das Ferron ihm gezeigt hatte, lebten nur vier Personen: ein Mann und drei Frauen, von denen die eine zu alt und die andere zu groß war, um die Zielperson zu sein. Die Jüngste bestand nur aus Muskeln und Knochen. Ihre Gedanken bestätigten, dass es sich um die Gesuchte handelte. Sie sorgte sich um ihre Familie und darum, dass die Mine geschlossen wurde. Arminio wunderte sich, denn Ferron hatte dieses Vorhaben im Kollegium Arkanum nie erwähnt.

Mit einem kurzen Blick und ein wenig Magie wärmte er den Kaffee, bis dieser dampfte. Er nippte daran und verzog das Gesicht. Für einen gebürtigen Sizilianer wie ihn war diese Brühe eine Zumutung.

Seine eigene Arbeit liegenzulassen war Ehrensache, denn Ferron bat nicht häufig um Hilfe. Jeder unterstützte ihn, wo es nur ging, da er eine große Verantwortung auf seinen Schultern trug. Außerdem hatte er schon lange kein tieferes Interesse mehr an einer Frau gezeigt.

Arminio schüttelte den Kopf, wobei einige kupferrote Locken mitschwangen. Es war ihm schleierhaft, wie sie die Aufmerksamkeit des Erzmagus geweckt hatte. Ihre Gedanken langweilten ihn, denn sie hatte weder ein Verbrechen begangen, noch war sie auf der Suche nach einer heißen Nacht.

Solche scheinbar sinnlosen Aufträge entpuppten sich meist als hochinteressant.

Er schob seinen Kaffee fort und legte ein paar Münzen daneben. Glandera war auf dem Weg in die Mine und er wollte ihr Gesicht betrachten, bevor eine Staubschicht davon bedeckt wurde. Hoffentlich war sie hübsch.

 

Glandera

Mit Hammer und Meißel ausgerüstet, schritt Glandera durch die Straßen von Chattenberg[1]. Das Kopfsteinpflaster unter ihren blanken Füßen war kühl. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, wenn sie sich an die Geschichten ihrer Großmutter erinnerte. Seit sie laufen konnte, hatte sie gelernt, nicht aufzufallen. Gleichmäßige Schritte ertönten und sie bog flink in eine Gasse ab, bevor die Wachen ihren Weg kreuzten. 

Aus dem Augenwinkel nahm sie das Glitzern des goldenen Oktaeders wahr. Es war das Wahrzeichen der imposanten Magierakademie und auf dem höchsten Turm angebracht, damit es im Sonnenlicht weithin in der Landschaft sichtbar war. Unmerklich schüttelte Glandera den Kopf. Für solch einen Unfug arbeitete sie jeden Tag hart in der Mine.

Sie hatte beschlossen, die Worte des Vorarbeiters zu ignorieren, dennoch hatte sie kaum geschlafen. Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinab, doch sie eilte weiter, um pünktlich mit allen anderen in die Mine einzufahren. Die Magier zahlten überdurchschnittlichen Lohn und jeder bemühte sich, diese Tätigkeit bestmöglich auszuführen, da man leicht ersetzt werden konnte. Genau diesen Umstand nutzte der Vorarbeiter seit Jahren aus.

Wie jeden Morgen reihte sie sich auf dem Platz vor der Mine in die Schlange ein, um ihre Anwesenheit bezeugen zu lassen. Wieder hatten sich viele neue Frauen und Männer eingefunden, die sich einen Arbeitsplatz erhofften. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie sich um und atmete erleichtert durch: Der Erzmagus war nicht hier. Sie schickte ein Stoßgebet gen Himmel in der Hoffnung, dass er sie vergessen hatte und ihr Zusammentreffen ungestraft bliebe. Jeder wusste, dass man keine Magier berührte.

[1]    Aussprache: Kattenberg

 

Arminio

Die Schritte der Arbeiter knirschten auf dem Schotter und die Schlange der Bergbaukumpel bewegte sich langsam vorwärts. Niemand getraute sich, ein Wort zu sagen. Sie alle warteten darauf, an den Tisch des Vorarbeiters zu kommen, um ihre Anwesenheit zu bezeugen. Erst dann kamen sie an den Wachen der Magierakademie vorbei und durften in die Mine einfahren.

Arminio stand weit hinter Glandera in der Reihe und lauschte den Gedanken der jungen Frau. 

Warum hatte sie eine solche Angst vor den Magiern? Jetzt, wo sie dem Vorarbeiter gegenüberstand, rasten ihre Gedanken. Er bedrängte sie, sich ihm hinzugeben. Halb telepathisch, halb mit den Ohren lauschend, folgte er ihrem Gespräch.

„Ah, ja. Die Quarzsucherin. Du bist zu spät.“ Der Leiter zog die Augenbrauen zusammen und notierte ihre Anwesenheit.

„Ich bin pünktlich, wie immer.“ Ihre Stimme bebte vor Angst.

„Ich hatte dich früher erwartet.“ Der Mann starrte sie mit einem schiefen Lächeln an, während er kurz seine Hose richtete. „In meiner Hütte.“

„Ich …“

Der Feuermagier beobachtete, wie das warme Blut immer schneller durch ihr Herz gepumpt wurde und ihre Muskeln zuckten. Ihr Körper machte sich zur Flucht bereit. Als Capitano bei der italienischen Polizei hatte er genug verzweifelte Frauen erlebt, um Glanderas Lage ausreichend erfassen zu können. Er versteckte sein Gesicht hinter der Kappe und griff mit tieferer Tonlage und akzentfreiem Deutsch in die Situation ein. „Wird das da vorn noch was?“

Zulkis schaute an der Arbeiterin vorbei und suchte den Mann, der es gewagt hatte, die Stimme zu erheben. Dabei erkannte Glandera ihre Chance und eilte weiter. Kurz bevor sie in die Mine trat, zögerte sie und warf einen Blick über die Schulter. Arminio zwinkerte sie an und sie lächelte, ehe sie in der Dunkelheit verschwand.

 

Einige Minuten später stand er vor Zulkis.

„Name?“ Gelangweilt schaute er nicht einmal von seinem Buch auf.

„Ernst. Ernst Nehmen.“ Der Capitano beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab. Seine zusammengekniffenen Augen durchbohrten den Widerling.

Verwundert schaute Zulkis auf. „Was ist denn das für ein dämlicher …“, abrupt erstarrte er, als er dem frostigen Blick von Arminio begegnete.

„Damit wir uns richtig verstehen: Der hochgelehrte Magister Ferron hat ein besonderes Interesse an der Quarzsucherin. Wird ihr auch nur ein Haar gekrümmt, werde ich dies melden. Verstanden?“

 

„Die Quarzsucherin“ ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen und im Buchhandel als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

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